EX TEMPORE
SAMSTAG - 1 JUNI 2019, 5pm - Ringackerkapelle Leuk CAMERATA VARIABILE & RUDOLF LUTZ
CAMERATA VARIABILE Kein Klaviertrio, kein
Streichquartett, kein Bläserquintett, sondern
alles zusammen: Das ist die Camerata variabile.
Statt einer festen Besetzung sieht ihr Modell
bewegliche Formationen vor, die vom Solostück bis
zum Nonett alle Kombinationsmöglichkeiten
erlauben. Dies eröffnet der Programmgestaltung ein
weites Feld. Das Ensemble wurde 1994 von Simon
Gaudenz in Basel gegründet, und 2011 übernahm die
Schweizer Geigerin und Komponistin Helena
Winkelman die künstlerische Leitung. Zur
Kernbesetzung gehören die Flötistin Isabelle
Schnöller, die Klarinettistin Karin Dornbusch, der
Cellist Christoph Dangel und die Pianistin Stefka
Perifanova. Eine spezielle Qualität der Camerata
variabile sind die themenorientierten Programme,
welche die Musik in einen grösseren Kontext
setzen: Liebeskunst, Bewusstsein, Sturm, Kosmos,
Le Contrat Social oder Homo Ludens. Der Camerata
variabile ist es dabei wichtig, alte und neue
Musik in einen Bezug zu einander zu setzen und
dadurch auch Zuhörern, die sich nicht als
Spezialisten für neue Musik sehen, Wege zum
Verständnis des zeitgenössischen Musikschaffens zu
eröffnen. Das Ensemble interpretiert in diesem
Kontext nicht nur berühmte Kompositionen aus dem
Repertoire oder selten gespielte
Kammermusikraritäten, sondern auch herausragende
Werke des 20. Jahrhunderts von Komponisten wie
Ligeti, Messiaen, Kurtág, Grisey, Riley,
Stockhausen, Holliger, Gubaidulina, Kelterborn,
Eötvös, Sciarrino und Carter. Ein besonderes
Anliegen ist der Camerata variabile auch die
Aufführung neuer Werke von Schweizer
Musikschaffenden. Die Camerata variabile arbeitet
regelmässig mit international bekannten Solisten
wie Lydia Kavina (Theremin), Thomas Demenga
(Cello), Garth Knox (Viola), Jürg Wyttenbach
(Dirigent/Klavier), Kurt Widmer (Bariton), Petra
Hoffmann (Sopran), Balthasar Streiff (Alphorn),
Rolf Romei (Tenor), Viviane Chassot (Akkordeon)
und Christina Daletska (Mezzosopran) zusammen. http://camerata-variabile.ch
RUDOLF LUTZ
Rudolf Lutz erhielt seine musikalische Ausbildung am Konservatorium Winterthur und in Zürich sowie an der Musikakademie Wien. Er studierte Orgel bei Jean-Claude Zehnder und Anton Heiller, Klavier bei Christoph Lieske und Dirigieren bei Karl Österreicher. Lutz war von 1973 bis 2013 Organist der evangelischen Kirche St. Laurenzen in St. Gallen. Zwischen 1993 und 2002 leitete er den Kammerchor Vocales Basilienses und von 1986 bis 2008 den Bach-Chor St. Gallen. Ab 1986 war er Leiter des St. Galler Kammerensembles. Rudolf Lutz unterrichtete Improvisation für Tasteninstrumente an der Schola Cantorum Basiliensis und Generalbass an der Hochschule für Musik Basel. 2006 wurde er zum künstlerischen Leiter der J. S. Bach-Stiftung berufen. Im Hinblick auf die Gesamtaufführung von Bachs Vokalwerk hat er in deren Rahmen das Instrumental- und Vokalensemble Schola Seconda Pratica gegründet, welches seit 2011 unter dem Namen Chor und Orchester der J. S. Bach-Stiftung auftritt. Als Experte für historische Improvisationspraxis hält Rudolf Lutz Seminare, gibt Konzerte und realisiert Aufnahmen für verschiedene CD-Labels sowie für Radio DRS und den Südwestrundfunk. http://rudolflutz.ch MITWIRKENDE Rudolf Lutz,
Cembalo (Gast)
CAMERATA VARIABILE Isabelle Schnöller, Flöte Helena Winkelman, Violine Manuel Oswald, Violine Lea Boesch, viola Christoph Dangel, Violoncello PROGRAMM Wilhelm
Friedemann Bach (1710-1784)
Triosonate in B-Dur 1. Largo 2. Allegro ma
non troppo
3. Vivace
John Cage (1912-1992) Aus: String quartet in four parts I. Quietly flowing along Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) Musikalisches Würfelspiel KV 516f «Walzer oder Schleifer mit zwei Würfeln zu componiren, so viele man
will, ohne etwas von der Musik oder
Composition zu
verstehen.»
John Cage (1912-1992) Aus: String quartet in four parts III. Almost Stationary Rudolf Lutz (1951-) Uraufführung für Ensemble *** Bachs Spiel – ein Gespräch mit Ruedi Lutz J. S. Bach (1685-1750) Chromatische Phantasie und Fuge für Solocembalo John Cage (1912-1992) Aus: String quartet in four parts II. Slowly Rocking IV. Quodlibet J. S Bach (1685-1750) Brandenburgisches Konzert Nr. 5 1. Allegro 2.
Affetuoso
3. Allegro
ZUM PROGRAMM Exakte Taktberechnungen bei
Cage, frei kombinierbare Walzerteile bei Mozart,
Stilimprovisation in der Uraufführung bei Rudolf
Lutz und perfekt errechnete Proportionen
bei Bach: Willkommen auf dem Spielplatz
musikalischer Genies. Bei Mozarts Würfelkanon
ist wiederum Ihre Mitwirkung als Publikum
gefragt: Alle erwürfelten Kombinationen ergeben
musikalischen Sinn. Mit dem 5. Brandenburgischen
Konzert findet schliesslich die Saison HOMO
LUDENS ihr grosses Finale.
SPIELTRIEB. In diesem Konzert
begegnen wir allen Formen des Spieltriebs: Wir
erleben Zahlenspiele mit mathematisch
errechneten Proportionen bei Cage,
Aleatorik bei Mozart, das Spiel mit gegebenem
Material in der Kadenz im 5. Brandenburgischen
Konzert bei Bach, die Improvisation in der
Uraufführung von Rudolf Lutz und die Suche nach
Freiheit durch spielerische Emanzipation vom
Stil des Vaters bei Wilhelm Friedemann
Bach. Dessen viertes Trio eröffnet das
Konzert. Sein Bruder Carl Philipp sagte von ihm,
dass er, der älteste, seinen Vater Bach
mehr ersetzen könne als sie alle (anderen
Geschwister) zusammen. Er galt nach J. S. Bachs
Tod als der grösste Organist
und Improvisator Deutschlands, doch hatte
er als Komponist zuerst wenig Erfolg, und noch
heute gelten viele seiner Werke als verschollen.
Die Opernbesuche mit seinem Vater in
Dresden waren für ihn ein grösserer Einfluss als
die Fugenstrenge des Vaters, und so wurde er
einer der Vorreiter des galanten Stils.
Keiner bringt diesen stilistischen Bruch besser
auf den Punkt, als der Hamburger Musikgelehrte
Mattheson: “Das Gehör empfindet oft größere
Lust an einer einzigen wohlgeordneten
Stimme, die eine saubere Melodie in aller
natürlichen Freiheit führt, als an
vierundzwanzig, bei denen die Melodie, um sich
allen mitzuteilen, dermaßen zerrissen ist,
daß man nicht weiß, was es heißen
soll.“ John Cages erstes
Streichquartett in vier Teilen von 1950
hat wie auch Bachs Musik ein mathematisches
Fundament und zeigt Cages Freude an
Zahlenspielen: Die rhythmische Struktur basiert
auf einer Formel: 2 1⁄2 , 1 1⁄2 , 2-3,6-5, 1⁄2,
1 1⁄2. Diese Zahlen ergeben zusammen
22. Multipliziert man diese Zahl mit sich
selbst, ergibt das 484 – die Anzahl der Takte
des Quartetts. Ausserdem dauert dieses 22
Minuten. Doch Cage beliess es nicht bei
Berechnungen allein, er erkannte wie Beethoven
in der Grossen Fuge, dass ein Stück eine
zusätzliche poetische Inspiration benötigt.
Der erste Satz ist mit dem Sommer in Frankreich
assoziiert, der zweite mit dem Herbst in New
York, der dritte ist ein Winterkanon und
der vierte ein Frühlings-Quodlibet. Die
konsonanten Akkorde erinnern an die
Klanglandschaft eines Gambenkonsorts,
das Musik aus dem 14. Jh. spielt. Das Stück
verwendet keine erkennbaren Kadenzen und hat
schon allein deswegen eine
zeitlose,mysteriöse Qualität. Das musikalische
Würfelspiel von W.A. Mozart erlaubt uns,
bei dem sonst so präzise notierenden Komponisten
ein Zufallselement zu erleben, das dem zu
Spässen aufgelegten Komponisten selbst grosse
Freude bereitet haben muss: Vorbereitet sind
verschiedene Walzerteile, die in ihren
verschiedensten Kombinationen immer wieder
musikalischen Sinn ergeben. Welche Version der
Teile gespielt wird, wird aleatorisch
bestimmt: Wir übergeben Ihnen, liebes Publikum,
für diese Aufführung die Würfel, sodass Sie
vielleicht zum ersten Mal die Möglichkeit
haben, sich am Entstehen einer Komposition zu
beteiligen. Die Chromatische Phantasie
und Fuge galt schon zu Bachs Lebzeiten als
ein Meisterwerk, und wir freuen uns sehr, dazu
eine Einführung von Rudolf Lutz zu
bekommen, der ein grosser Bach-Kenner ist und
uns helfen kann, zu verstehen, in welchem Masse
auch Bach ein begeisterter Spieler
war. Mit dem fünften Brandenburgischem
Konzert beenden wir schliesslich unsere
Saison. Wir führen das Werk in der
kammermusikalischen Version auf, die auch
der Fassung entspricht, die Bach 1718 zum
Kuraufenthalt von Fürst Leopold mitgebracht
hatte. Er nahm damals nur sechs Musiker
mit, was die fehlende zweite Tuttigeige erklärt.
Ein interessantes Detail ist, dass in der
Frühfassung des Konzerts das
berühmte Cembalosolo nur 18 Takte umfasste.
Später erweiterte Bach dieses in einem solchen
Masse – vielleicht auch durch den Erhalt
eines Cembalos mit grösserem Tonumfang –,
dass das fünfte Brandenburgische trotz der
konzertierenden Soloflöte und Solovioline
manchmal auch als das erste Klavierkonzert
der Musikgeschichte betrachtet wird.
ZU DEN KOMPONISTEN Johann Sebastian Bach https://en.wikipedia.org/wiki/Johann_Sebastian_Bach Wilhelm Friedemann Bach https://en.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Friedemann_Bach Wolfgang Amadé Mozart https://en.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Amadeus_Mozart John Cage https://en.wikipedia.org/wiki/John_Cage Rudolf Lutz http://rudolflutz.ch KONZERTFLYER PHOTOS |
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